Entwicklung
und Lernen lassen sich nicht trennen, sie erfolgen zusammen. Nur ist das, was
das Kind lernt, durchaus abhängig vom Entwicklungsstand. Die meisten
grundlegenden und uns selbstverständlichen Dinge lernen die Kinder im Verlauf
ihrer Entwicklung durch Bewegen, durch eine aktive, handelnde Auseinandersetzung
mit der Umwelt. Das Wissen, das lösgelöst vom Handeln in Bild und Sprache repräsentiert
ist, beruht weitgehend auf der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt von
Menschen früherer Generationen. Diese handelnde Erkundung nachzuvollziehen
verstärkt die Einsicht in das Lernen und in die Eigenart dieses Wissens.
„Sich-Bewegen
ist Welt verstehen in Aktion“ (vgl. auch das <dialogische
Bewegungskonzept> nach Gordijn bei Trebels 1992). Die Welt zu verstehen ist
ohne Bewegung letztlich nicht möglich. Nach Bruner (Vgl. 1974, 200 ff.) wird
das Wissen auf dreifache Art erworben:
Bruner
veranschaulicht diese Form der Aneignung des Wissens mit einem Beispiel: „Mit
dem Hebelarm beispielsweise können Kinder umgehen, ohne eine genaue Vorstellung
von ihm zu haben, wenn sie nämlich auf einer Wippe herumturnen; dann sind ihnen
die physikalischen Gesetze (handelnd, in Aktion, durch Bewegung, d. Verf.)
gleichsam in Bewegung übergegangen. Das Kind kann auch zu einer intuitiven oder
genaueren bildlichen Wiedergabe des Hebelarms übergehen und es dabei zu einer
beachtlichen geometrischen Genauigkeit bringen. Und schließlich ist es möglich,
Wippen und Hebelarme als Newtonsche Drehmomente darzustellen und sie in eine
mathematische Formelsprache zu fassen, die sich von der konkreten Vorstellung
eines Hebelarms weit entfernt hat» (Bruner 1974, 204).
Diese
Aneignungsmöglichkeiten des Wissens existieren nebeneinander, so dass Handeln,
Darstellen und Abstrahieren nebeneinander als Lernprozess vollzogen werden können.
„Ein Weltklasse-Fußballer kann zentimetergenau in den Strafraum flanken, ohne
die Differentialgleichungen zu kennen, die die Flugbahn des Balles
beschreiben“ (Bruner 1974, 202f.).
Übertragen
auf die Initiierung von Lernprozessen bei Kindern und Jugendlichen bedeutet
dies, dass alle drei Ebenen der Aneignung von Lernstoffen berücksichtigt werden
sollen. Dabei können sie isoliert voneinander gewählt werden - oder die
Erfahrungen auf der einen Ebene werden auf eine andere oder die anderen überführt.
Da
Kinder in aller Regel zuerst über die handelnde, dann die bildliche und schließlich
die symbolische Ebene lernen, ergibt sich daraus für die Lernprozesse in der
Grundschule, diese Reihenfolge möglichst einzuhalten. Der handelnde Umgang,
also das Lernen unter Einbezug von Sich-Bewegen, steht grundsätzlich an erster
Stelle schulischen Lernens und Erfahrens.
In
den weiterführenden Schulen stellt sich die Abfolge des Lernens auf den
genannten Ebenen möglicherweise anders dar. Schülerinnen und Schüler in den
Klassen der Sekundarstufen I und II verfügen über größere sprachliche und
erweiterte kognitive Fähigkeiten. Hier kann die Abfolge der drei Ebenen auch
verändert werden. Die Erkenntnisse, die die Kinder in einer Sache auf der
bildhaften Ebene gewonnen haben, werden zum Beispiel auf die symbolische Ebene
übertragen, um sie dann auf der handelnden Ebene im praktischen Tun noch einmal
nachzuvollziehen und/oder zu überprüfen. Die Bedeutung der handelnden
Darstellung ist aber auch hier gegeben, denn jede Übertragung von erworbenem
Wissen von einer Darstellungsebene auf eine andere stellt für den Lern- und Erfahrungsprozess
eine Bereicherung dar (vgl. auch Bruner 1974, 205).
Insofern
hat das handelnde Lernen, das Lernen in Bewegung auf allen Schulstufen, eine
besondere Bedeutung für, ‑ die Erschließung der Welt und das tiefere
Verständnis dessen, was Generationen vor uns an Wissen hervorgebracht haben.
Auf den handelnden Umgang mit Lernstoffen zu verzichten würde eine Verarmung
des Lernens bedeuten.
Rüdiger
Klupsch-Sahlmann: Bewegte Schule, in Sportpädagogik 19 (1995) 6, 14-22
